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Wie wollen wir künftig leben?

Ist die Zeit der Globalisierung zu Ende?

"Vorab" einer künftigen Publikation unseres Ehrenpräsidenten Dr. Ruprecht Vondran

Fr 17.04.2020, 19:34 Uhr

„Freunde unterm Regenhimmel“: Es ist schon eine Weile her – da hat ein japanischer Minister für seine offizielle Visite in Berlin dieses Bild gewählt. Er erinnert auf diese Weise, dass viele Generationen daran mitgewirkt haben, eine deutsch-japanische Völkerfreundschaft zu begründen. In meinem Buch „Brückenköpfe“ habe ich diese Annäherung beschrieben. Aber das Bild lässt zugleich erkennen: Es gibt nicht nur Jahre, in denen man sich darin sonnen konnte, sondern auch dunkle Zeiten, in denen sich Freundschaft bewähren musste. 2011, in dem der japanische Politiker nach Deutschland kam, war eine solch dunkle Zeit. Es folgten für beide Länder glückliche Jahre, in denen sie ihren Wohlstand mehren konnten.

Nicht viel Zeit zum Atemholen

Heute, eine Dekade später, sind wieder dunkle Wolken am Himmel. Soweit wir es wissen, steht kein Tsunami ins Haus. Doch es drohen große Wellen, die vieles wegschwemmen könnten. Vieles stürzt auf uns ein. Die Welt ist ein unruhiger Ort geworden. Schon ein kurzer Blick auf die Themen, die allein in den letzten Monaten auf Bewältigung drängten, macht deutlich: Keine gute Zeit für ängstliche Gemüter - aber eine Chance, in bewährter deutsch-japanischer Partnerschaft nach Lösungen zu suchen.  Es ist noch gar nicht lange her, da war künstliche Intelligenz Anlass zu Hoffnung und zugleich zur Sorge. Wird KI den Menschen entmündigen. Werden Maschinen die Herrschaft an sich reißen? Schon bald danach rückte die bange Frage in den Vordergrund: Wie wird die Zukunft der Arbeit aussehen? Werden wir alle arbeitslos? Ungezählte Diskussionen suchten nach Antworten. Es blieb nicht viel Zeit zum Atemholen. Schon stand die nächste Runde an. Müssen wir unser Leben nicht ganz neu einrichten? Kann nur eine sofortige Umkehr die vom Menschen überforderte Umwelt retten? Grausame Untergangsszenarien wurden ausgebreitet. Ein Riesenthema. Doch schon bald übernahm ein Winzling, das Corona-Virus, die Regie. Die Menschheit sieht sich pandemiebedroht. Müssen ganz Völkerstämme den Untergang fürchten? Noch während die Mediziner über das Ausmaß dieser Herausforderung streiten, zieht eine weitere dunkle Wolke am Himmel auf. Fällt die Welt in eine wirtschaftliche Schockstarre? Zeichnet sich eine Rezession von bisher unbekanntem Ausmaß ab? Läuft die Zeit einer gelungenen internationalen Arbeitsteilung aus. Kommt die Globalisierung an ihr Ende?

Welle folgt auf Welle. Manchmal tut ein Spaziergang an offener See gut. Da zeigt sich: Wellen verschlingen einander. Eine solche Beobachtung lädt zur Ruhe ein. Wir müssen nicht atemlos werden. Aber wir sollten auch nicht so tun, als gingen die Aufgeregtheiten uns gar nichts an. Es gibt eine Grundströmung: Die Menschen haben - ohne Maß - Besitz von der Erde genommen. Zugleich gewinnen sie mit Hilfe der Wissenschaft immer tiefere Einsicht In das, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Es gelingt ihnen, Techniken zu entwickeln, die zu einem wirksamen Herrschaftsmittel in ihren Händen werden, dem kaum noch Widerstand zu leisten ist. Immer mehr geht ihnen das Gefühl verloren, selbst ein Teil der Natur zu sein. Die Konzentration von Abermillionen Menschen auf engstem Raum begünstigt diesen Entfremdungsprozess.

Wie wollen wir künftig leben - unter dramatisch veränderten Bedingungen - so heißt deshalb die übergreifende Frage, auf die auch Deutsche und Japaner eine Antwort finden müssen. Nur diese zwei? Nein, das genügt natürlich nicht. Alle der hier genannten Themen sind von globaler Bedeutung. Viele Nationen, eigentlich alle, müssen an ihrer Bewältigung mitwirken. Aber es gibt kaum eine Chance, auf Ebene der Vereinten Nationen (und der UN -Töchter), auf Basis der hochentwickelten Industriestaaten (also der OECD), im Kreise der regionalen Organisationen (etwa ASEAN und auch der EU), in vertretbarer Zeit zu greifbaren Ergebnissen zu kommen. Zumindest ein Anfang müsste im kleinsten Kreis gesucht werden. Und da kommen Deutschland und Japan durchaus in Betracht. Sie kennen sich und sie können es. Hier gibt es Substanz, die zu wenig beachtet wird, jedoch sehr hoch zu schätzen ist.

Vertrauenskapital für schwierige Zeiten

Beide Länder haben sich nicht auf Kriegsschauplätzen kennengelernt, anders als beispielsweise die meisten Nachbarn in Europa. Sondern im Hochschulraum, in Laboratorien, in Krankenhäusern, auch in Werkstätten. In einer großen Zahl unterschiedlicher Disziplinen - in Wissenschaft und Technik, Kultur und Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Menschen mit ganz unterschiedlichen Lebensbildern waren an diesem Annäherungsprozess beteiligt. Aber es war die gleiche Kraft, die sie alle bestimmte. Nimmt man mehr als 150 Jahre gemeinsamer Geschichte in den Blick, so wird eine große Zahl von Deutschen sichtbar, die sich Japan als Aufgabe zu Eigen gemacht haben.  Sie fanden gleich gesonnene und gleich gewichtige Partner in Japan, die Deutschland in den Blick nahmen. Beide Seiten suchen im eigenen Land Verständnis für den anderen zu begründen und zu festigen. So ist ein dichtes Netzwerk zustande gekommen, ein Vertrauenskapital, das es erlaubt, auch schwierige Fragen gemeinsam anzugehen - in einer offenen Struktur, die es möglich macht, auch andere einzubeziehen.

Die darin liegenden Chancen sollten deutlich mehr genutzt werden. Leider sehen sich beide Länder mit innenpolitischen Problemen und den Aufgaben in ihrer jeweiligen Region ausgelastet. Zwar haben sich die Botschaften in Berlin und Tokyo sehr bemüht, das vorhandene Vertrauenskapital zu aktivieren und die dafür notwendigen Akzente zu setzen. Aber über viele Jahre war in beiden Hauptstädten politische Routine angesagt. So wird man der gemeinsamen Geschichte nicht gerecht und auch Zukunft ist so nur schwer zu gewinnen. Es ist an der Zeit, wieder näher zusammenzurücken.

Dr. Ruprecht Vondran
Ehrenvorsitzender des DJW sowie des Verbands Deutsch-Japanischer Gesellschaften e.V. 
info@djw.de
www.djw.de
Dr. Ruprecht Vondran
Ehrenvorsitzender des DJW sowie des Verbands Deutsch-Japanischer Gesellschaften e.V.
info@djw.de
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