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VTuber: Livestream-Fame ohne Gesichtsverlust

Björn Eichstädt, Geschäftsführender Gesellschafter der Kommunikationsagentur Storymaker

Zuerst veröffentlicht bei LEAD Digital

Fr 22.02.2019, 11:54 Uhr

In Japan macht sich derzeit ein neuer Trend breit. Millionen Follower schauen Live-Streams sogenannter VTuber – Anime-Avatare, die in Echtzeit mit den Augen klimpern, mit ihren Fans sprechen und sich von diesen mit Nudelsuppe oder Blumenbouquets verwöhnen lassen – und hinter denen in aller Regel ein live agierender Mensch steckt.

Das Phänomen "VTuber" klingt erst einmal verrückt. Aber auch japanische Unternehmen sind inzwischen auf den Trend aufgesprungen und entwickeln ihre eigenen "Virtual Tubers“. Und von der Globalisierung dieses Trends ist der ein oder andere in Japan inzwischen auch fest überzeugt.

Es war im August 2018, als ich das erste mal über VTuber stolperte. Shigetaka Kurita, der als "Vater der Emojis" gilt, erzählte mir in einem Gespräch bei seiner aktuellen Firma Dwango in Tokyo von diesem aktuellen Trend: YouTuber seien eigentlich durch, das neue Ding seien 3D-Anime-Charaktere, die live ins Internet gestreamt würden und da eine riesige Fangemeinde hätten. Mehrere Millionen Follower seien inzwischen normal. Der Avatar, der die Sache ins Rollen brachte, heißt Kizuna Ai.

Kurita zeigte mir erste Videos, erzählte mir, dass japanische Firmen wie der Getränkegigant Suntory inzwischen mit Kizuna Ai zusammenarbeiten und andere Firmen ihre eigenen VTuber entwickeln würden. Der Vorteil: keine Skandale, keine schwierigen Influencer. 

Virtuelle Charaktere sind einfach im Griff zu halten. Das Ganze würde inzwischen auch in Richtung VR wandern und neben den Animationen wären auch Live-Modifikationen der Stimme der neueste Schrei. Hinter den Charakteren mit dem Schulmädchen-Look steckten öfter, als man das denken würde, mittelalte Software-Entwickler. 

Nur für echte Techies?

Meine Neugierde war geweckt. Und nur wenige Tage später entdeckte ich bei einer japanischen Messe, die dem Hologram-Charakter Hatsune Miku gewidmet war, einen kleinen Stand, an dem man sich live in einen 3D-Charakter verwandeln konnte, inklusive Stimmmodulation in Real-Time.

Große Gamingcomputer ächzten und krächzten, aber das Ergebnis war dann auch beeindruckend. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, dass die VTuber-Existenz wohl doch nur etwas für die ganz harten Technologie-Geeks sein müsste. Ohne Gaming-Computer schien kaum etwas umsetzbar.

Umso mehr überraschte mich nur kurz nach meinem Besuch die Ankündigung der japanischen Mobile-Social-Gaming-Pioniere Gree, die eine VTuber-Avatar-Live-Streaming-App für Smartphones ankündigte. „Reality Avatar“ so der Name der Anwendung. Ein Grund für ein Gespräch mit Kensuke Sugiyama, der beim 16.000-Mitarbeiter-Unternehmen Gree die Kommunikation des VTuber Departments verantwortet:

Wie ist das Phänomen in Japan entstanden?

Kensuke Sugiyama: Es gibt eigentlich zwei unterschiedliche Bereiche, die das VTuber-Phänomen hervorgebracht haben. Zum einen ist da das ganze Manga- und Anime-Umfeld – über Printmedien, Fernsehen, Digitale Medien, aber auch über Real-Life-Events wie Cosplay-Conventions oder Hatsune-Miku-Konzerte, sind die gezeichneten Charaktere in Japan wahnsinnig populär geworden. Und auch weltweit ein großer Erfolg. Zum zweiten haben wir Entwicklungen wie Video-Online-Plattformen wie YouTube oder Nico Nico Douga und Live-Streaming – die sich zu eigenen Industrien mit ihren spezifischen Stars entwickelt haben. Wenn man diese beiden Entwicklungslinien verbindet, dann landet man bei den VTubern. Und schließlich sind Japaner recht schüchtern und zeigen nur ungern ihr „wahres Gesicht“. Dabei sprechen sie schon gerne über ihre wahren Gedanken, aber ein Avatar hilft ihnen dabei ganz eindeutig. So verhindert man einen Gesichtsverlust.

Im wahrsten Sinne des Wortes. Gibt es so etwas wie den Urknall der VTuber?

Ja, das ist ein VTuber namens Kizuna Ai. Im Zusammenhang mit diesem YouTube-Charakter, der noch nicht live agierte, sondern eher wie ein klassischer YouTuber, wurde erstmals der Begriff „Virtual YouTuber“ verwendet, der später dann zu dem neuen Gattungsbegriff VTuber zusammengezogen wurde. Im Laufe des Jahres kamen weitere VTuber hinzu, Kizuna Ai wurde Japanweit bekannt und die Zahl der Fans wurde immer größer. Heute gibt es bereits einige VTuber, die weit über eine Millionen Fans und Follower um sich versammeln. Ein weiterer Trigger war das Auftauchen eines ungewöhnlichen Charakters, der zwar wie Kizuna Ai ein hübsches Anime-Mädchen darstellte, allerdings eine Männerstimme hatte. Das sorgte für einen großen Hype. Dieser offensichtliche Wiederspruch interessierte die Leute.

Wann kam der Übergang zum Live-Broadcasting?

Ende 2017 wurden VR-Chats in Japan bekannt. Das war wohl ein zentraler Ausgangspunkt. Am Anfang fand das meiste Live-Broadcasting auf YouTube statt, aber schnell etablierten sich spezielle Streaming-Plattformen: Showroom (vor allem für japanische Popstars), Mirrativ (eine Live-Gaming-Plattform) - und Gree kam dann mit der Mobile-Plattform Reality im April 2018 auf den Markt. Speziell für VTuber.

Warum ist Gree in das VTuber Business eingestiegen?

Wir glauben, dass VR-Chats das Agieren als Avatar bedeutend machen werden. Gree ist im Bereich VR schon sehr aktiv und über unsere Mobile Games haben wir auch schon verschiedene Character und zugehörige Synchronsprecher, die dann als VTuber engeren Kontakt mit den Fans aufbauen können. Wir halten das nicht für einen kurzfristigen Trend, sondern für ein komplett neues Digitalsegment. Wobei wir uns sowohl um das Thema Produktion als auch um die Zuschauerseite kümmern.

Wie sieht das genau aus?

Für Enduser und Einsteiger ins VTuber-Business gibt es zwei Apps. Die eine ist Reality. Das ist eine VTuber-Streaming-Seite, über die man sich Streams seiner liebsten VTuber ansehen kann. Auf der anderen Seite bieten wir mit Reality Avatar eine App für die Umsetzer.

Wie genau werde ich ein VTuber mit Reality Avatar?

Das ist eigentlich recht einfach. Als erstes baut man einen Avatar: Haarfarbe, Augenfarbe- und Form, Klamotten – fertig. Dann noch ein Name, eine Backstory und los geht’s. Und dann geht es auch schon los mit dem Livestreaming – das ist möglich nach 18.00 Uhr japanischer Zeit. In „Reality“ bekommen die Zuschauer dann alle Avatars angezeigt, die gerade live sind.

Die Avatare sprechen und User können Kommentare hinterlassen oder auch geldwerte virtuelle Geschenke verteilen. Etwa Blumenbouquets oder auch Schüsseln mit japanischer Nudelsuppe. So ein Blumenbouquet kostet fast 100 Euro, das ist das wertvollste Geschenk. Der VTuber erhält davon nach den App-Gebühren von Apple oder Google sowie einer Gree-Provision sein Honorar. Man kann also als VTuber richtig Geld verdienen. Derzeit gibt es auch noch Raum für neue VTuber, denn man braucht ein iPhone X oder eine spätere Version in der aktuellen Version. Die technologischen Anforderungen sind also für mobile Geräte auf dem neuesten Stand.

Oh toll, dann kann ich ja noch einsteigen. Gibt es schon deutschsprachige VTuber?

Nein, ich glaube nicht. Es gibt einige englischsprachige.

Aber Deutsch ist wirklich noch neu. Vielleicht reicht alleine schon die deutsche Sprache, um neu zu sein? 

Deutsche VTuber

Ja, wunderbar, dann fange ich gleich an. Seit 4. Dezember 2018 ist LEAD-Autor und Storymaker-Geschäftsführer Björn Eichstädt als „ミュンヘンVTuber“ aktiv auf Reality. Sein erster Auftritt bescherte ihm über 1200 Likes und 70 Live-Zuschauer. Die App ist derzeit nur im japanischen Apple App Store erhältlich. Wir sehen uns im virtuellen Universum.

 

※ Zweitveröffentlichung des bei LEAD Digitalerschienen Beitrags. Den originalen Artikel vom 04. Dezember 2018 finden Sie hier.

Es gibt einige englischsprachige VTuber (Foto: Screenshot YouTube) Es gibt einige englischsprachige VTuber (Foto: Screenshot YouTube)
Björn Eichstädt
Geschäftsführender Gesellschafter | Digital, IT, Japan
Storymaker 
www.storymaker.de
b.eichstaedt@storymaker.de
Björn Eichstädt
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