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Kolumne (Juni 2021)

Gerhard Wiesheu, DJW-Vorstandsvorsitzender

Die Olympischen Sommerspiele 2021 in Tokio – die Vorfreude hat sich zuletzt deutlich eingetrübt

Di 15.06.2021, 09:50 Uhr

Bald werden die 32. Sommerspiele in Tokio feierlich eröffnet. Seit nunmehr knapp einem Jahrzehnt laufen die Planungen, für die eigens der Kabinettsposten des „Olympiaministers“ geschaffen wurde. Denn für Japan geht es um weit mehr als die Organisation einer prestigeträchtigen Großveranstaltung: Es geht um ein Signal an die eigene Bevölkerung und die Weltgemeinschaft, dass die lange Phase der Stagnation überwunden ist – dank der umfangreichen Strukturreformen und des Umbaus der japanischen Wirtschaft unter dem ehemaligen Premierminister Shinzo Abe im Rahmen der dritten Säule der Abenomics.

Die Olympischen Spiele 1964 als Signal für Japans Wirtschaftskraft 

Schon die Olympischen Spiele in Tokio im Jahr 1964 hatten positiven Signalcharakter. Japan öffnete damals seine Tore, und knapp 300.000 Ausländer folgten der Einladung. Seitdem hat sich der Auslandstourismus als ein wichtiger Zweig der japanischen Wirtschaft etabliert. So kamen im Jahr 2019 31,8 Mio. ausländische Besucher ins Land der aufgehenden Sonne. Zugleich fielen die Tokioter Spiele von 1964 direkt in die Periode von Japans rasantem Wirtschaftswachstum. Innerhalb von nur vier Jahren schaffte es Japan seinerzeit, von der viertgrößten zur zweitgrößten Volkswirtschaft [gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP)] aufzusteigen und diese Position abgesehen von einer kurzen Periode in den 1970er-Jahren über Jahrzehnte zu halten. Japan präsentierte sich damals der Weltgemeinschaft als fortschrittliche Technologienation – ein Symbol dafür war der „Shinkansen“ – und stärkte damit das Vertrauen der japanischen Bevölkerung in die eigene Wirtschaftskraft.

Die Olympischen Spiele 2021 – Kritik und Chancen

Ob sich ein solche positives Potenzial auch dieses Mal entfalten kann, steht noch in den Sternen. Denn zuletzt mehrten sich die kritischen Stimmen, die immer lauter fordern, auf die Olympischen Spiele zu verzichten – oder sie zumindest nochmals zu verschieben. Neben Politikern, Wirtschaftsvertretern und offiziellen Sponsoren scheinen sich nun auch 60–80 % der Japaner gegen einen Start der Spiele am 23. Juli auszusprechen – so jedenfalls das Ergebnis mehrerer Umfragen. Zuletzt reihte sich Tokios Ärztevereinigung in die Riege der Kritiker ein und forderte in einem Brief an Premierminister Yoshihide Suga, die Sommerspiele abzusagen. Zusätzlich haben bereits 10.000 freiwillige Helfer ihre Zusage zurückgezogen. Medizinische Experten geben insbesondere zu bedenken, dass es faktisch unmöglich sei, für eine Veranstaltung dieser Dimension ein einheitliches Hygienekonzept umzusetzen. Auch wird kritisiert, dass das Internationale Olympische Komitee scheinbar über die Köpfe der japanischen Bevölkerung und der Experten hinweg die Olympischen Spiele unbedingt stattfinden lassen wolle.

Bei aller Kritik liegt jedoch die Vermutung nahe, dass ein erfolgreicher Start der Sommerspiele wieder zu einem Stimmungsumschwung in Japan beitragen könnte. Ein erfolgreicher Ablauf der Spiele unter schwierigsten Bedingungen in Kombination mit einer Präsentation Japans als wiedererstarkte Nation könnte erneut für einen Vertrauensschub in der japanischen Bevölkerung sorgen. Erfreulicherweise versucht auch die Europäische Kommission zu einem Gelingen der Spiele beizutragen. So wurde der Export von 100 Mio. Impfdosen nach Japan autorisiert. Wirtschaftlich haben die Olympischen Spiele dagegen nur eine untergeordnete Bedeutung. Laut eines Reports vom Nomura Research Institute liegt der geschätzte Wirtschaftsnutzen, selbst ohne jegliche Zuschauer, bei 12,5 Mrd. EUR (1.664 Mrd. JPY), was etwa 0,3 % des BIP entspricht. Der Verzicht auf ausländische Zuschauer bedeutet dagegen nur einen Einnahmeverlust von 1,1 Mrd. EUR (150 Mrd. JPY). Interessanterweise dürfte nämlich der größte positive Effekt, sowohl beim BIP-Wachstum als auch bei japanischen Aktienpreisen, schon vor Beginn der Spiele eingetreten sein. Die Ergebnisse einer Untersuchung des Dai-ichi Life Research Institute zeigen deutlich, dass die Wachstumsraten in den Austragungsländern der vergangenen neun Olympischen Sommerspiele im Durchschnitt bereits drei Jahre vor der eigentlichen Veranstaltung ihren Hochpunkt erreichten. Grund dafür seien primär die bereits getätigten Investitionen in die Entwicklung der inländischen Infrastruktur gewesen.

Auch wenn die Vorfreude auf die Olympischen Spiele momentan deutlich getrübt ist: Vielleicht werden Historiker im Rückblick die erfolgreiche Organisation der Olympischen Spiele als Wendepunkt bezeichnen in den Bemühungen der Weltgemeinschaft, die Coronapandemie unter Kontrolle zu bringen.

Gerhard Wiesheu
Vorstandssprecher, B. Metzler seel. Sohn & Co. Holding AG
DJW-Vorstandsvorsitzender
info@djw.de
http://www.djw.de
Gerhard Wiesheu
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