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Japans Wirtschaft boomt. Alles auf Pump?

Franz Waldenberger, Deutsches Institut für Japanstudien und Vorstandsmitglied des DJW

Wie lange kann dies gut gehen?

Di 24.04.2018, 10:19 Uhr

Die Bank of Japan rechnet mit 1,9 Prozent realem Wachstum im Fiskaljahr 20171 und mit 1,4 Prozent im FJ 2018 [1]. Das ist bescheiden im Vergleich zu China und den USA. Aber Chinas Wachstum speist sich aus dem Entwicklungsrückstand gegenüber den führenden Industrienationen, und die USA profitieren vom Wachstum der Erwerbsbevölkerung. Japans Bevölkerung in der Altersgruppe 15 bis 64 Jahre, die statistisch als erwerbsfähig gilt, ist dagegen seit 2012 um mehr als 5,3 Millionen Personen (6,6%) geschrumpft [2]. Dennoch ist die Zahl der tatsächlich Erwerbstätigen im gleichen Zeitraum um 2,4 Millionen (4,6%) gestiegen [3], weil mehr Frauen eine Arbeit aufnahmen, mehr Personen im Rentenalter weiter beschäftigt wurden und die Arbeitslosigkeit zurückging. Der durch die gute Konjunktur induzierte Zuwachs in der Beschäftigung erweist sich gleichzeitig als wichtige Stütze des Aufschwungs. Wie lange noch, ist allerdings fraglich, denn der heimische Arbeitsmarkt ist so gut wie leergefegt. Die Arbeitslosigkeit war mit 2,8 Prozent so niedrig wie zuletzt vor 23 Jahren [4]. Auf eine Arbeit suchende Person kommen 1,5 offene Stellen, der höchste Wert seit 44 Jahren [4]. Der Mangel an heimischen Arbeitskräften lässt die Zahl ausländischer Arbeitskräfte steigen. Die offiziellen Statistiken weisen einen Zuwachs von 18 Prozent zwischen Oktober 2016 und Oktober 2017 aus [5]. Absolut stieg die Zahl auf 1,3 Millionen – ein Rekord für Japan, der sich aber im internationalen Vergleich mit einem Anteil von zwei Prozent an der Gesamtbeschäftigung als eher bescheiden darstellt. Was viele Ökonomen verwundert: Trotz der angespannten Arbeitsmarktlage und Unternehmensgewinnen auf Rekordniveau gab es keine nennenswerten Zuwächse bei den Löhnen [6]. Eine Ausnahme bildet die Bauwirtschaft, die mit dem Wiederaufbau in der Region Tôhoku und der Vorbereitung auf die olympischen Spiele mehr als ausgelastet ist. Hier stiegen die Einkommen seit 2012 um sieben Prozent [6].

Überschüsse in Handel und Tourismus

Man sollte vermuten, dass ein Land, dem die Arbeitskräfte ausgehen, vermehrt aus dem Ausland importiert. Aber entgegen der Erwartung erzielte Japan zuletzt wieder leichte Überschüsse im Handel von Gütern und Dienstleistungen. Dazu haben nicht zuletzt die 28 Millionen Touristen beigetragen, die 2017 ins Land kamen, viermal so viele wie 2011 [7]. Geht es nach der Regierung, dann soll der seit fünf Jahren in Folge gesteigerte Rekordwert bis 2020 die 40 Millionenmarke erreichen. 2016 lag der Überschuss in der Tourismusbilanz bereits bei über 1,3 Billionen Yen [8]. Wer hätte gedacht, dass Ausländer in Japan einmal mehr Geld ausgeben als die gerne und viel reisenden Japaner im Ausland. Auch die weitergefasste Leistungsbilanz weist seit Jahren steigende Überschüsse auf. Hier schlagen sich vor allem die Erträge aus Japans Investitionen und Geldanlagen im Ausland nieder. Der Überschuss beim Kapitaleinkommen betrug 2016 18,2 Billionen Yen (3,3% des BSP) und wird 2017 nicht niedriger ausfallen [8]. Natürlich zeichnet für die Überschüsse mit dem Ausland nicht zuletzt auch der Wechselkurs verantwortlich. Schaut man sich die langfristige Entwicklung des realen effektiven Yen-Kurses an, so liegt der aktuelle Wert des Yen deutlich unter dem Durchschnitt der letzten 40 Jahre [9]. Die Unterbewertung des Yen zeigt sich auch im Vergleich zur Kaufkraftparität. Legt man den vom Economist berechneten „Big Mac Index“ zugrunde, dann ist der Yen zurzeit um 35 Prozent unterbewertet [10]. Das heißt: Für Ausländer ist Japan billig, im Ausland angelegtes Geld ist in Yen gerechnet mehr wert, und aus dem Ausland importierte Produkte und Dienstleistungen sind teurer.

Die japanische Geldpolitik…

Am Verlauf des „Big Mac Index“ über die Zeit erkennt man deutlich, wann die Abwertung beginnt: Mit Beginn der zweiten Amtszeit von PM Abe Ende 2012 und der danach unter Gouverneur Kuroda vollzogenen extremen geldpolitischen Lockerung. Die dadurch bewirkte Ausweitung der geldpolitischen Basis stellt die Maßnahmen der US-amerikanischen Notenbank oder der EZB deutlich in den Schatten. Das erklärte Ziel, die Inflationsrate auf zwei Prozent zu hieven, wurde bislang nicht erreicht. Eigentlich legt der gesunde Menschenverstand nahe, bei einer Politik, die seit 20 Jahren vergeblich versucht ein Ziel zu erreichen, entweder die Instrumente oder das Ziel an sich in Frage zu stellen. Nicht so bei der japanischen Geldpolitik. Es liegt wohl weniger daran, dass die Materie sehr kompliziert ist, sondern ist vor allem der Tatsache zu verdanken, dass es der Wirtschaft trotz Deflation eigentlich ganz gut ging. Insofern hatte das „Versagen“ der Geldpolitik keine erkennbaren negativen Folgen. Die Dellen im Konjunkturverlauf der letzten 20 Jahre wurden durch die asiatische Finanzkrise, Japans hausgemachte Bankenkrise, das Platzen der Internetblase, vor allem aber durch den Lehmann Schock erzeugt.

… und ihre Profiteure

Von dem historischen geldpolitischen Experiment der japanischen Notenbank profitierte nicht nur die Exportwirtschaft, sondern insbesondere auch die japanische Regierung, die sich zu traumhaft niedrigen Zinsen refinanzieren, und dabei auch die Laufzeit ihrer Schulden erheblich verlängern konnte. Inzwischen hat die Bank of Japan über den Sekundärmarkt über 40 Prozent der ausstehenden Japanese Government Bonds (JGBs) aufgekauft [11, 12]. Absolut hatte sie zum 31. Januar 2018 JGBs im Wert von 413 Billionen Yen (75% des BIP) in ihrer Bilanz [11]. Die Gegenfinanzierung auf der Passivseite erfolgt hauptsächlich durch freiwillige Reserven der Geschäftsbanken, die angesichts der stagnierenden Kreditnachfrage des Privatsektors mit der zusätzlichen Liquidität der Notenbank nichts Besseres zu tun wissen, als das Geld wieder bei der Zentralbank zu parken.

Wie lange kann dies gut gehen?

Die nicht nur in Japan bei wachsender Staatsverschuldung und gleichzeitig niedriger Inflation zu beobachtenden extremen Niedrigzinsen sind damit zu erklären, dass der Privatsektor weltweit mehr spart als er investiert. Die Ersparnisüberschüsse kann der öffentliche Sektor zu historisch niedrigen Zinsen aufnehmen. Er stützt damit die Konjunktur. Die entscheidende Frage ist, ob dies nur ein vorübergehender oder ein länger andauernder Zustand ist. Bei dieser fundamental wichtigen Einschätzung sind sich die führenden Ökonomen nicht einig. Diejenigen, die erwarten, dass die privaten Investitionen und mit ihnen die Zinsen weltweit bald wieder ansteigen werden, plädieren für eine Konsolidierung öffentlicher Haushalte. Diejenigen, die von einem anhaltenden Ersparnisüberschuss im privaten Sektor ausgehen, fordern genau das Gegenteil, nämlich dass der Staat diese Überschüsse zur Stützung der Konjunktur weiter aufnimmt, und sich damit verschuldet. Die japanische Regierung kann nur hoffen, dass die Letzteren recht behalten, denn dann macht sie nichts falsch. Aber auch dann sind angesichts der angespannten Arbeitsmarktlage dem konjunkturellen Aufschwung Grenzen gesetzt. Dies gilt erst recht im Fall einer Korrektur der Yen-Unterbewertung.

※ Wiederabdruck des in der Januarausgabe der Mitgliederzeitschrift Kaiho der DJG Bayern e.V. erschienen Beitrags.


1. Das japanische Fiskaljahr beginnt am 1. April und endet am 31. März des nächsten Jahres.

Quellen
[1] Bank of Japan, Outlook for Economic Activity and Prices, January 2018, https://www.boj.or.jp/en/mopo/outlook/gor1801b.pdf
[2] Statistics Bureau, Results of Population Estimates, http://www.stat.go.jp/english/data/jinsui/2.htm
[3] Statistics Bureau, Labour Force Survey, http://www.stat.go.jp/english/data/roudou/index.htm
[4] NIKKEI, 17年の失業率、23年ぶり3%下回る 雇用改善 [Arbeitlosenquote 2017 erstmals seit 23 Jahren wieder unter 3%, Verbesserung bei der Beschäftigung], Artikel vom 30.01.2018, online Ausgabe.
[5] Ministry of Health, Labour and Welfare, Situation of Foreign Workers. Summary of Registrations as of End of October 2017, news release 26 January 2018, http://www.mhlw.go.jp/stf/houdou/0000192073.html
[6] Ministry of Health, Labour and Welfare, Monthly Labour Survey, http://www.mhlw.go.jp/english/database/db-l/monthly-labour.html
[7] NIKKEI, 訪日客、最高の2800万人 中韓がけん引し17年2割増 [Inbound Touristen, Rekordwert von 28 Millionen, 20% Wachstum 2017 getragen von Touristen aus China und Südkorea], 11.01.2018, online Ausgabe.
[8] Minstry of Finance, Balance of Payments, http://www.mof.go.jp/english/international_policy/reference/balance_of_payments/index.htm
[9] World Bank, Real Effective Exchange Rate (2010 = 100), https://data.worldbank.org/indicator/PX.REX.REER
[10] Economist, The Big Mac Index. Global exchange rates, to go, 17. Januar 2018, http://www.economist.com/content/big-mac-index
[11] Bank of Japan, What’s New, 2 February 2018, Japanese Government Bonds Held by the Bank of Japan, https://www.boj.or.jp/en/index.htm/
[12] Ministry of Finance, Central Government Debt, http://www.mof.go.jp/english/jgbs/reference/gbb/index.htm

Prof. Dr. Franz Waldenberger
Direktor, Deutsches Institut für Japanstudien (DIJ)
Vorstandsmitglied, Deutsch-Japanischer Wirtschaftskreis (DJW)
dijtokyo@dijtokyo.org
www.dijtokyo.org/de
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Direktor, Deutsches Institut für Japanstudien (DIJ)
Vorstandsmitglied, Deutsch-Japanischer Wirtschaftskreis (DJW)
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