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Eine Stimme der Vernunft

Über die gegenwärtigen Krisen und Tendenzen der Welthandelsbeziehungen

"Vorab" einer künftigen Publikation unseres Ehrenpräsidenten Dr. Ruprecht Vondran

So 30.08.2020, 23:29 Uhr

„Right or wrong - my country“

Es knackt verdächtig in dem uns vertrauten Gefüge der Vereinten Nationen. Die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffenen UN-Strukturen, vor allem der Sicherheitsrat mit seinen Veto-Kompetenzen, bedürfen der Rundumerneuerung. Doch alle Bemühungen erwiesen sich bisher als aussichtslose Unterfangen. Zudem kämpfen wichtige Teile der UN um ihre Existenz. So wird der Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Daseinsberechtigung abgesprochen, obwohl ihr in Zeiten der Pandemie besondere Verantwortung zufällt. Die USA haben gerade wahrgemacht, was lange angekündigt ist: sie haben die Mitgliedschaft gekündigt. Die für die kulturelle Verständigung unverzichtbare UNESCO kann angesichts geschrumpfter Etats wichtige Aufgaben nicht mehr wahrnehmen. Schlimmer noch ergeht es der Welthandelsorganisation (WTO). Sie liegt bereits im Koma. Ihre unverzichtbare Schiedsgerichtsbarkeit liegt völlig brach. Einen Beitrag zur gewaltfreien Konfliktbereinigung kann sie nicht mehr leisten. Denn die Ernennung von Schiedsrichtern - ein Prozess, der internationaler Abstimmung bedarf - wird mutwillig verhindert. Der WTO-Präsident, der Brasilianer Roberto Azevedo, hat, entmutigt durch eine Blockadepolitik, vorzeitig seinen Abschied genommen. Hinter all diesen Ausfallerscheinungen - zu nennen ist auch die Aufkündigung des Klima-Kompromisses von Paris - steht ein politisches Dogma: Multilaterale Bemühungen zur Konsensfindung und Friedenssicherung sind wertlos. Verlass, so diese Lesart, ist nur von nationalem Alleingang zu erwarten: „Right or wrong - my country“.

Die meisten Beobachter machen für diese verhängnisvolle Fehlentwicklung einen Mann, den Präsidenten der Vereinigten Staaten, verantwortlich. Doch das ist vermutlich zu kurz gegriffen. Die amerikanische Verfassung verleiht Donald Trump große Macht. Er gebraucht sie sprunghaft und oft verantwortungslos. Aber hinter ihm steht noch immer eine breite Wählerschaft. Doch selbst wenn sie ihm das Vertrauen entzöge, bedeutete das nicht zwingend einen Kurswechsel zu größerer Konsensbereitschaft. Denn auch in anderen Ländern gibt es eine Tendenz, eigene Souveränitätsrechte rücksichtslos zu gebrauchen.

Die internationale Arbeitsteilung bleibt zunehmend auf der Strecke

Themen von Explosivkraft summieren sich mittlerweile in gefährlicher Zahl. Die großen Handelsmächte beschuldigen sich gegenseitig, gegen geltendes Recht zu verstoßen. Die USA klagen China an, hohe Abwehrzölle zu erheben und gleichzeitig unter Falschdeklaration (regelwidriger Nutzung der „De-minimis-Vorschriften“) amerikanische Zölle zu unterlaufen. Die Amerikaner beklagen Digitaldiebstähle, Raubkopien und Cyber-Attacken. Auch Deutschland sieht sich zahlreichen Vorwürfen Washingtons ausgesetzt. Sie sind anderer Natur. Die USA werfen unserem Land vor, seinen Vertragsverpflichtungen innerhalb der NATO nicht nachzukommen und mit dem Bau einer zweiten Gas-Pipeline durch die Ostsee (North Stream II) die Nordatlantische Allianz zu schwächen. Sie drohen deshalb nicht nur mit Truppenabzug, sondern auch hohen Zöllen, insbesondere auf Automobilimporte.

Die Europäer sind uneinig, sehen zwar gemeinsam in China einen „systemischen Wettbewerber“, lasten Peking einen Propagandakrieg mit gezielter Desinformation an und betrachten die „neue Seidenstraße“ als kaum verhüllten Versuch, in Europa unerwünscht eigene strategische Brückenköpfe zu errichten. Angesichts dieser Herausforderung zeigt sich Frankreich konfliktbereit und plädiert für einen harten Gegenkurs. Deutschland will das in der vorgeschlagenen Form nicht begleiten, sondern drängt mit Rücksicht auf Exportinteressen auf Verhandlungslösungen. Berlin lehnt vor allem ein „decoupling“, einen gezielten Abbruch des Warenaustauschs mit China, ab. Alle beklagen Überkapazitäten, feindliche Übernahmen durch Staatsbetriebe und Subventionswettbewerb. Insgesamt eine höchst unerfreuliche Gemengelage. Die internationale Arbeitsteilung, die der Welt Wohlstand gebracht hat, bleibt zunehmend auf der Strecke.

Ein Notfallplan - ohne Japan?

Angesichts dieser nahezu chaotischen Situation hat der EU-Handelskommissar, der Ire Phil Hogan, bereits vor einigen Monaten Vorschläge gemacht, durch eine weitreichende politische Initiative wenigstens einen wichtigen Teil der globalen Handelsordnung zu erhalten. Sein Notfallplan ist - vermutlich durch eine gezielte Initiative – öffentlich geworden. Die überregionale „Welt“ hat darüber berichtet: „Es ist keine neue WTO, die da aus der Taufe gehoben wird, wohl aber ein exklusiver Club, der weiter nach WTO-Regeln arbeiten will und in dem die USA außen vor bleiben“ (28.3.2020). Der neue Zusammenschluss soll einen großen Teil des weltweiten Handels abdecken. Angeblich ist bereits eine große Zahl bisheriger als WTO-Mitglieder für eine neue Zusammenarbeit nach alten Regeln bereit. Genannt wurden: Australien, Brasilien, Canada, China, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Guatemala, Hongkong, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Singapur, die Schweiz und Uruguay.

Es fällt auf, dass China als Mitglied dieses Kreises genannt wird, Japan aber nicht. Wenn das mehr als ein Versehen ist, sollte uns das beunruhigen. Japan ist aus deutscher Sicht nicht nur ein Handelspartner, der in gleiche Richtung zielende Interessen verfolgt, d.h. einen regelbasierten freien Handelsaustausch erhalten will. Japan ist - anders als China - auch ein „Wertepartner“. Aus vielen Gründen setzt sich Deutschland für diese Mitwirkung ein. Möglicherweise ist der EU-Kommissar mit seinen Vorschlägen zu weit vorgeprescht. Es mag sein, dass er zurückrudern musste. Jedenfalls ist auffällig, dass dazu Konkretisierendes nicht mehr zu hören ist. In jedem Fall ist in Sachen Handelspolitik ein klares Votum notwendig. Derzeit gewinnt man jedoch den Eindruck, dass politische Energie vor allem auf die Entscheidung verwandt wird, wem die frei gewordene WTO-Generaldirektorenstelle anzuvertrauen ist. Gewiss, dieser Auswahlprozess ist von Bedeutung. Von deutlich größerem Gewicht ist aber die Frage, wie der noch bestehende Vertragsrahmen wieder mit Substanz zu füllen ist. Zu den Inhalten der Arbeit ist eine Positionierung dringend notwendig. Allein mit der Bestimmung eines „Notfallmediziners“ (Börsen-Zeitung v. 10.6.20) ist der WTO nicht zu helfen.

Aus Vorwürfen, Drohungen, bereits gegenwärtig fühlbaren Handelsbeschränkungen ist ein böses Gemisch entstanden. Fast täglich kommen neue Belastungen hinzu. Zusätzlich lähmt Corona alle wirtschaftlichen Aktivitäten und insbesondere den grenzübergreifenden Handel. Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, die Bedürfnisse der Unternehmen deutlich zu artikulieren und die Politik daran zu erinnern, dass taktische Manöver tiefgreifende Schäden verursachen. Sie vernichten finanzielle Mittel, die für den Wiederaufbau dringend benötigt werden. Es wäre gut, wenn der DJW in dieser Lage eine Stimme der Vernunft sein könnte.

© Pixabay © Pixabay
Dr. Ruprecht Vondran
Ehrenvorsitzender des DJW sowie des Verbands Deutsch-Japanischer Gesellschaften e.V. 
info@djw.de
www.djw.de
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