Interview mit unserem Vorstandsmitglied Dr. Takahiro Shinyo
Neuigkeiten aus dem DJW Vorstand
Unser Vereinsziel, den wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Japan weiter zu vertiefen und auf vielfältigen Ebenen zu stärken, erreichen wir gemeinsam mit dem Engagement und der Impulsgebung unserer Mitglieder und des gewählten Vorstands. Als Wirtschaftskreis bündeln wir einen großen Erfahrungsschatz, umfassende Expertise, und bilden ein stabiles Netzwerk an Kontakten in Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Wissenschaft.
Mit unserer Interview-Reihe „DJW Insights“ stellen wir unser Team, unsere Special Advisor und unsere Vorstandsmitglieder vor. Was bewegte und bewegt unsere Vorstandsmitglieder, im deutsch-japanischen Kontext aktiv zu werden? Warum engagieren sie sich in und mit unserem Wirtschaftskreis? Welche Ideen möchten Sie in naher Zukunft realisieren?
Das folgende Interview führten wir mit unserem Vorstandsmitglied Dr. Takahiro Shinyo. Er ist Vorstandsmitglied und Sonderberater der Kwansei-Gakuin-Universität, ehemaliger Botschafter von Japan in Deutschland und als Vorstandsmitglied in unserem Verein aktiv.
Herr Dr. Shinyo, Sie unterstützen bereits lange als Vorstandsmitglied unseren Wirtschaftskreis und engagieren sich von Japan aus für die Förderung und Verstärkung der deutsch-japanischen Beziehungen. Wie sind Sie erstmals mit Deutschland in Berührung gekommen?
Ich kam zum ersten Mal mit Deutschland in Kontakt, als ich 1972 ins japanische Außenministerium trat und im darauffolgenden Jahr zum Sprachkurs nach Deutschland geschickt wurde. Die Ehrlichkeit und der Fleiß, die ich als das Vorstellung Deutschland gegenüber hatte - was sich in meinen Augen beispielsweise von Angelsachsen oder Frankreich unterscheidet - brachten mich damals dazu, die Sprache zu lernen. Bevor ich mit dem Studium des Völkerrechts an der Universität Göttingen begann, war meine erste Station das Goethe-Institut des Sauerlands. Dort unterstützte mich die Vermieterin meiner Unterkunft und brachte mir die deutschen Sitten und Gebräuche sowie den Umgang mit der deutschen Gesellschaft bei, was einen sehr großen Einfluss auf mein späteres Leben in Deutschland ausübte. Sie war für mich wie die Mutter in Deutschland und ich bin ihr immer noch vom ganzen Herzen dankbar.
Was fasziniert Sie an Deutschland am meisten?
Mich fasziniert, dass die Deutschen fleißig sind und ihr Wort halten. In Deutschland wird das Prinzip „pacta sunt servanda" gelebt. Obwohl ich manchmal das Gefühl habe, dass man zu doll auf die Regeln achtet und deswegen unflexibel wirkt, finde ich es sehr attraktiv, dass die Gesellschaft und der Staat mit Disziplin funktionieren und Ausländer:innen als Bürger:innen akzeptiert werden, solange sie sich an die Regeln halten. Wenn die Deutschen „Ja" sagen, ist es wirklich ein „Ja" und von dieser Antwort bin ich noch nie enttäuscht worden. Ich denke, solche Länder gibt es nicht viele.
Sie waren als Generalkonsul in Düsseldorf und danach als Botschafter in Berlin tätig. Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten bezüglich der Gesellschaft und der Wertvorstellungen haben Sie während Ihres Aufenthalts in Deutschland bemerkt? Haben Sie das Gefühl, dass sich diese Unterschiede und die Gemeinsamkeiten im Laufe der Zeit wandeln?
Da Deutschland und Japan gemeinsame Wertvorstellungen wie Ehrlichkeit, Fleiß, Pünktlichkeit, Gesetzestreue, Sauberkeit und Ordnung haben, habe ich nie einen großen wertunterschiedsbedingten Schock erlebt. Was in Japan als common sense gilt, ist auch in Deutschland genauso, weswegen ich glaube, dass viele Japaner:innen ohne große Einschränkung in Deutschland leben können. Wenn ich aus anderen Ländern nach Deutschland komme, fühle ich mich wie zu Hause. Für manche Leute, die Deutschland noch nicht kennen, wirkt die deutsche Gesellschaft vielleicht steif und zu förmlich, aber sobald man sich an die Regeln und das Leben gewöhnt hat, fühlt man sich wohl. Wenn man die Sprache lernt und sich mit der Denk- und Kommunikationsweise vertraut gemacht hat, wird das Leben sehr gemütlich.
Natürlich gibt es viele Unterschiede zwischen Deutschland und Japan, aber diese liegen nicht auf der Ebene grundlegender menschlicher Werte, sondern in den Wegen und Methoden, die im Alltagsleben eingesetzt werden, wobei es sich um persönlichen emotionalen Geschmack handelt, ob man diese mag oder nicht. Es kann jedoch etwas verwirrend sein, dass die Deutschen oft ihrem Gegenüber aufzwingen, was sie für richtig halten. Im Gegensatz dazu gibt es in der japanischen Gesellschaft die Gewohnheit, darauf zu achten, die Gefühle der anderen einzuschätzen und anderen nichts aufzudrängen. Das kann zwar einerseits kompliziert sein, ist aber andererseits einfühlsam.
Was die Natur der Deutschen angeht, dass sie sich konsequent mit einer Sache beschäftigen, können die Japaner:innen wahrscheinlich nicht mithalten. Dabei handelt es sich um einen Unterschied zwischen beiden Ländern – in Deutschland bemüht man sich darum, etwas Gutes lange Zeit beizubehalten, während Japan versucht, auch gute Dinge stets noch besser und benutzerfreundlicher zu machen. Dieser Unterschied zeigt sich in der Unternehmens- und Produktionskultur beider Länder. Die Herstellung deutscher Produkte nach dem traditionellen Meistersystem vermittelt Sicherheit und Zuverlässigkeit, lässt sich aber nicht so leicht an den Zeitwandel anpassen. Japans Produktionskultur basiert auf einem anpassungsfähigen Ansatz, der beispielsweise in Toyotas Kaizen, bei dem es sich darum handelt, Mängel zu finden und zu beheben, in Ausdruck kommt. Beides hat Vor- und Nachteile und genau deswegen können wir durch einen Wettbewerb und Austausch voneinander lernen. Diese gesellschaftlichen Einstellungen und Werte ändern sich trotz leichten Unterschieds von Generation zu Generation nicht wesentlich und bilden das, was als Nationalcharakter bezeichnet wird.
Mal etwas Persönliches: Was aus Japan haben Sie während Ihrer Amtszeiten in Deutschland vermisst? Und was aus Deutschland hätten Sie jetzt gerne in Japan?
Ich bin recht anpassungsfähig und wenn ich in Deutschland lebe, führe ich mein Leben wie die Deutschen. Deshalb habe ich Japan nicht so sehr vermisst, was das Essen oder den täglichen Bedarf angeht, aber manchmal vermisse ich japanische ländliche Landschaft, die ich als Kind gesehen habe, oder japanische Kinderlieder, die ich in meiner Kindheit gehört habe. Onsen (heiße Quellen) und japanische Gästehäuser sind die Dinge, nach denen ich immer mehr sehne, je älter ich werde.
Umgekehrt hätte ich gerne in Japan das Haus, die Möbel und den Garten von Deutschland. Und das Lebensumfeld Deutschlands, in dem man die Ruhe und die Gelassenheit schätzt. In dieser Hinsicht ist Japan mit Deutschland nicht zu vergleichen.
Die gegenwärtige Weltsituation um Deutschland und Japan ist sehr komplex geworden. Welche Erkenntnisse sind Ihrer Meinung nach wichtig, um weiterhin das gegenseitige Verständnis zu fördern?
Ich finde es wichtig, zu erkennen, dass sowohl Japan als auch Deutschland mittel- bis langfristig schließlich von Great Power zu Middle Power States werden, da die Bevölkerungszahl und der nationale Einfluss in beiden Ländern zurückgehen. Obwohl sie sich seit mehr als einem halben Jahrhundert als Wirtschaftsmächte positionieren, haben sie in politischer Hinsicht noch nicht so großen Einfluss. Sowohl Japan als auch Deutschland befinden sich zwischen einer Great und Middle Power, wozu der englische Ausdruck „ambivalent" passt. Auch wenn sie die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats der Vereinten Union werden wollen, ist dies für sie schwierig. Im 21. Jahrhundert müssen sich Japan und Deutschland als globale Middle Power States, die anders sind als neue Länder wie China, Indien, Brasilien und so weiter, die immer größeren Einfluss auf die Welt ausüben, mit den anderen Staaten und demokratischen Ländern zusammenschließen, um die aktuelle und kommende Ära des Konflikts zu überwinden.
Unsere beiden Länder gehören zwar nicht mehr zur Great Power, doch ich wünsche mir, dass sie als globale mittelgroße Staaten mit wirtschaftlichen Kräften sowie technologischer Kompetenz, welche international gesehen nicht zu unterschätzen sind, für den Weltfrieden und weitere menschliche Entwicklungen kooperieren und auch im Wettbewerb miteinander stehen.
Welche Themen werden in Ihren Augen die bilateralen Beziehungen in Zukunft prägen?
Die lange Friedenszeit, die nach dem zweiten Weltkrieg 77 Jahre dauerte, endet nun mit dem Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten und wir treten in eine ernsthafte Periode des Konflikts ein. Das heutige Hauptthema, mit dem sich Japan und Deutschland gemeinsam beschäftigen sollten, ist, wie wir den Frieden erhalten und die Konflikte lösen. Von beiden Ländern wird erwartet, gemeinsam mit anderen Ländern proaktiv die Initiative zur Friedensschaffung zu ergreifen. Dabei sind auch die Selbsthilfe und die Kooperation im Bereich der Verteidigung und der Sicherheit des eigenen Landes wichtige Themen.
Außerdem sollten Japan und Deutschland in dieser Zeit, in der diktatorische, autoritäre Staaten in der Zahl die demokratischen überwiegen, als zentrale Länder dienen, die politische Zusammenarbeit fördern, um die uns gemeinsamen Werte der Menschlichkeit wie die Demokratie, die Freiheit und die Menschenrechte zu wahren. Natürlich werden globale Themen wie Umwelt, Erderwärmung, Nahrungsmittel, Energie, Infektionskrankheiten, etc. auch weiterhin eine bedeutende Rolle für die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern spielen. Außerdem müssen wir uns in Zukunft gemeinsam mit Herausforderungen beschäftigen wie freie Verbreitung und Weitergabe von Informationen sowie die Beseitigung von Desinformation und Infodemie, um die Freiheit für die Menschen zu gewährleisten.
Wo liegen nach Ihren Einschätzungen weitere Potenziale für die Stärkung der deutsch-japanischen Beziehungen?
Japan und Deutschland sollten gute Wettbewerber mit freundschaftlicher Basis bleiben, um die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu fördern. Dadurch, dass Deutschland sich mit dem riesigen Markt Chinas intensiver beschäftigt hat, ist das Interesse an Japan in den letzten Jahren etwas zurückgegangen. Um universale Werte wie wirtschaftliche Sicherheit, Freiheit, Menschenrechte, Demokratie und Marktwirtschaft zu bewahren, sollte Deutschland nun erkennen, dass Japan ein Partner für die Zusammenarbeit ist. Und wir sollten gemeinsam die Kooperationsmöglichkeiten mit dem sogenannten Globalen Süden, der im 21. Jahrhundert in dieser Welt eine signifikante Rolle spielen wird, mit Schwellenländern wie Indien und Entwicklungsländern in Afrika vertiefen.
Wo sehen Sie hier die Rolle und den Wirkungskreis des DJW, um diese Potenziale zu heben?
Der DJW hat bisher verschiedene Vorschläge zu wirtschaftlichen, sozialen und globalen Themen gemacht, bei denen Japan und Deutschland zusammenarbeiten sollten. Da wir in eine „Ära des Krieges" eintreten, in der die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten die Welt destabilisieren und die Weltwirtschaft stark beeinträchtigt wird, ist es zu hoffen, dass Japan und Deutschland weiterhin Lösungen in den Bereichen Wirtschaft, Handel, Industrie und Innovation in der Informationstechnologie anstreben.
Der DJW kann weiterhin einen bedeutenden Beitrag dazu leisten, die Zusammenarbeit zwischen jungen Unternehmer:innen und der Austausch zwischen kleinen und mittleren Unternehmen, die den Großteil der Industrie ausmachen, zu aktivieren und fördern, um bilaterale Kooperation auszubauen und an die nächste Generation weiterzugeben.
Und zu guter Letzt: Ihre Message an unsere DJW-Mitglieder.
Ein friedliches Umfeld ist für die Entwicklung der Weltwirtschaft essenziell. Dass Japan und Deutschland nach dem Kriegsende 77 Jahre lang als Wirtschaftsmächte agieren konnten, ist dem Frieden zu verdanken, der gewahrt wurde. Die beiden Länder stehen nun vor einer „Zeitenwende" in der Nachkriegsfriedensordnung. Alle Unternehmer:innen müssen heute mit Verantwortungsbewusstsein auftreten, um zu vermeiden, dass das 21. Jahrhundert nicht zu einem Jahrhundert des Krieges zurückkehrt.
Ich hoffe, dass die Bemühungen jedes einzelnen DJW Mitglieds die deutsch-japanische Zusammenarbeit, die zum Weltfrieden beiträgt, fortsetzen und stärken werden.
Wir danken Herrn Dr. Shinyo für das Gespräch und schriftliche Interview, das er im Oktober 2023 mit uns führte.
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